Illustration: Frank Höhne im fluter, 2022

Wie ein Hashtag das Schweigen über Armut gebrochen hat

Vor zwei Jahren schrieb eine alleinerziehende Mutter unter dem Pseudonym Finkulasa einen simplen Tweet #ichbinarmutsbetroffen. Darin bat sie Menschen, die von Armut betroffen sind, ihre Geschichten zu teilen – unter dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen. Was als persönlicher Appell begann, wurde zur Bewegung: Tausende meldeten sich zu Wort, erzählten von Scham, Stigmatisierung und dem täglichen Kampf um Würde in einem der reichsten Länder der Welt.

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12.07.2024

Am 12. Mai 2022 postet die alleinerziehende Mutter Finkulasa diesen Tweet:

»#IchBinArmutsbetroffen – Ich würde mich freuen, wenn ihr mitmacht. Nur ein kleiner Tweet zu euch. Lasst uns zeigen, wer wir sind (nicht zwingend mit Foto!), dass wir KEINE Zahlen sind. Ob H4, Rente, Aufstocker oder oder oder.«

Ein kurzer Aufruf, ein Hashtag – und eine Bewegung entsteht. Binnen Stunden beginnen Menschen, ihre Erfahrungen mit Armut öffentlich zu teilen. Sie erzählen von Kühlschränken, die leer bleiben, von der Angst vor der nächsten Rechnung, von beschämenden Blicken beim Amt oder im Supermarkt. Von struktureller Ungleichheit, aber auch von Mut und Solidarität.

Unter #IchBinArmutsbetroffen entsteht ein digitales Kollektiv, das Armut sichtbar macht – in einer Gesellschaft, die lieber wegsieht. Denn Einkommensarmut ist in Deutschland kein Randphänomen, sondern betrifft Millionen Menschen. Und doch gilt sie als Tabu. Wer arm ist, schweigt oft – aus Angst vor Scham, Schuldzuweisungen und sozialer Ausgrenzung.

„Einkommensarmut wird gesellschaftlich tabuisiert. Viele Menschen sind betroffen, doch nur wenige sprechen darüber“, schreibt Sozialwissenschaftler*in Francis Seeck in Klassismus überwinden. Bewegungen wie #IchBinArmutsbetroffen seien deshalb so wichtig, weil sie Betroffenen eine Stimme geben und das Thema auf die politische Agenda setzen.

Tatsächlich war der Hashtag mehr als ein digitaler Aufschrei. Er wurde zu einem Akt der Selbstermächtigung. Menschen, die oft unsichtbar gemacht werden, erzählten ihre Geschichten – ohne Scham, aber mit Würde. Sie machten deutlich: Armut ist kein persönliches Versagen, sondern ein gesellschaftliches Problem.

  • Arm ist, wer weniger als 60 % des mittleren Einkommens hat

  • Das betrifft ca. 13 Millionen Menschen, die nach Einkommen als armutsgefährdet gelten.* Der Schwellenwert betrug zuletzt etwa 1.381 Euro netto im Monat für einen Single-Haushalt und 2.900 Euro für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern (unter 14 Jahren).**

  • Besonders betroffen: Alleinerziehende, Rentner*innen, Erwerbslose, Aufstocker*innen

  • Folgen: soziale Ausgrenzung, Scham, weniger Teilhabe

Armut ist kein Einzelfall – sondern ein strukturelles Problem!

Quellen: *Statistisches Bundesamt, 2024 und **Paritätischer Armutsbericht, 2024

Zwei Jahre später lebt die Bewegung weiter. Auf X (ehemals Twitter) und anderen Plattformen werden täglich neue Beiträge geteilt. Sie zeigen: Hinter dem Wort "Armut" stehen Gesichter, Biografien, Familien, Lebensrealitäten.

In einer Zeit, in der soziale Spaltung wächst und politische Debatten über „Leistung“ und „Eigenverantwortung“ lauter werden, bleibt der Hashtag ein Symbol des Widerstands gegen Klassismus und Ignoranz.

Er erinnert uns daran, dass soziale Gerechtigkeit keine Randnotiz ist – sondern eine Aufgabe, die uns alle betrifft. Oder, wie es Soziolog*in Francis Seeck in dem Buch Klassismus überwinden beschreibt:

»Die Bekämpfung von Armut und die Förderung sozialer Gerechtigkeit ist eine Aufgabe, die uns alle betrifft.«

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